23 sierpnia 2016

Das sollte nicht vergessen werden...

- Nachkriegsgeschichten -



Noch ein aussagekräftiges Dokument neben dem Foto von den ersten polnischen Siedlern in Wilxen nach dem Zweiten Weltkrieg (im Blog bei Kronika Wilkszyna cz. 3) ist die Siedlerliste von 1947 (im Blog: Wytyczne do projektu osiedleńczego gromady Wilczyn 1947). Es ist eine Erfassung der neuen Bewohner von Wilxen / Wilkszyn nach der Vertreibung der letzten ehemaligen deutschen Einwohner, die mit ihrem Pfarrer Hugo Scholz im Herbst 1947 in Hannover ankamen.

Diese neuen Siedler waren überwiegend auch Vertriebene aus Ostpolen, die hier nun ihre neue Heimat finden sollten. Und nach 70 Jahren zeigt sich, dass viele Familien in Wilkszyn sesshaft geworden sind. Schaut man sich die Eintragungen an, dann findet man viele Familiennamen, die heute noch in Wilkszyn anzutreffen sind.

Aber auch drei deutsche Familien sind in der Siedlerliste von 1947 verzeichnet. Sie wurden polonisiert und lebten noch bis 1957 dort. Später, als die politische Situation es erlaubte, siedelten sie nach Westdeutschland um. Aber 10-12 Jahre Zusammen­leben, auch mit Menschen anderer Nationalität, verbindet. Es kam zu Freund­schaften, ja sogar zu Heirat.

Da war z.B. die Familie unseres ehemaligen Schuhmachers Berthold Opitz, in der Liste die Nr. 20 mit 3 Personen – Eltern und Sohn Alois, der 1947 17 Jahre alt war. Als 6jähriger Junge ist er auf dem Schulbild in der Chronik (Kronika Wilkszyna) auf Seite 135 zu sehen. 1957 siedelte Berthold um, 1958 Alois mit Familie. Inzwischen war Alois mit einer Polin verheiratet. Die Familie hatte 6 Kinder und wohnte nun in Westdeutschland am Rhein.

Szczepanska Antonina, in der Liste als Nr. 67 mit 2 Personen verzeichnet, war Mutter von 6 Kindern. Einige ihrer Kinder waren 1947 nicht mehr in Wilxen / Wilkszyn.
Ihr Sohn Alfons, damals 23 Jahre alt, war zu dieser Zeit in russischer Kriegs­gefangenschaft. Als Mutter Antonia erfuhr, dass ihr Sohn in einem Kohlebergwerk in Beuthen / Bytom arbeitete, ist die kleine energische Frau aufgebrochen und hat ihren Sohn gesucht. Sie ging nicht eher wieder heim, bis man ihr den Sohn überlassen hatte; allerdings unter der Bedingung, dass sie zur Arbeit für den Wiederaufbau in Wilkszyn bleiben.

Alfons lernte dann in Wilkszyn die 18jährige Lisa aus Schreibersdorf / Pisarzowice kennen. Lisa blieb bei Alfons, als ihre Familie Schreibersdorf verlassen musste. Sie arbeitete zunächst in Trautensee / Miłoszyn. Es muss wohl Liebe auf den ersten Blick gewesen sein. Noch heute wirken sie – nach 68 Jahren Ehe – glücklich miteinander. 1948 haben sie geheiratet (Massentrauung in der Kirche in Herrnprotsch / Pracze Odrzańskie). Das war nötig, damit sie auch an ihrem neuen Arbeitsplatz miteinander leben und arbeiten konnten. Lisa ging nämlich mit Alfons auf ein Oderschiff – ein Baggerschiff. Lisa als Matrose und Alfons als Maschinist. So haben die beiden fast 10 Jahre lang die Oder zwischen Oppeln / Opole und Maltsch / Malczyce ausgebaggert.




Gemälde vom Soldaten Alfons, 19 Jahre



Alfons, 49 Jahre, mit Mutter Antonia

Nach getaner Arbeit spielte Alfons auf seiner Ziehharmonika, das hob die Stimmung. Und er spielte auch in Wilkszyn im Saal des ehemaligen Gasthauses Bleisch zum Tanz. Eine gute Ziehharmonika hatte ihm Bruno (Bronisław Grzesiak, in der Siedlerliste Nr. 14) besorgt. Bruno und Alfons waren Freunde geworden.

Lisa und Alfons bekamen dann 1957 die Genehmigung zur Ausreise nach West­deutschland im Zuge der Familienzusammenführung. Die politische Situation machte das damals 1957/58 möglich. Im Durchgangslager Friedland wurden sie von ihren Familienangehörigen erwartet. Die Freundschaft zu Bruno blieb – und auch die Zieh­harmonika musste in Wilkszyn zurückbleiben.
In der ul. Polna in Wilkszyn erinnern sich heute noch Einwohner an Alfons. Im Sommer 2012 wurde dort noch nach Alfons Szepanski gefragt.



  Alfons, 91 Jahre, spielt noch immer



der junge Bruno

 Bronisław Grzesiak gehörte zu den ersten Polen, die 1945 nach Wilxen kamen. Er kam von Deutschland (Thüringen) aus nach Wilxen, war von den russischen Besatzern zurück nach Polen geschickt worden. Viele Jahre hatte er in Deutschland gearbeitet und sprach gut Deutsch. Er teilte das Schicksal vieler Polen, die lange in Deutschland gelebt hatten und jetzt von dort ausgewiesen wurden. Einige hatten Familien gegründet. So gab es in Schlesien dann nach dem Krieg viele junge Polen mit deutschem Geburtsort und deutscher Sprachbildung.

Bronisław war für uns Bruno, der im Haus Nr. 4 bei Gimmler wohnte (bis zu seinem Tod). Bruno lebte schon mit der deutschen Bevölkerung zusammen, bis diese vertrieben wurde. Er kannte uns noch alle. Für die späteren "Heimwehtouristen" wurde er zum Vermittler. So erlebten auch wir ihn 1992, 46 Jahre nach unserem Weggang (zu sehen in der Chronik, auf dem Foto Seite 140 oben).

Bruno kannte das alte Dorf Wilxen noch, hatte die Veränderungen erlebt und konnte uns nun Auskunft geben. Und er wusste von den Grausamkeiten der russischen Besatzer an den deutschen jungen Frauen und Mädchen aus der Nachbarschaft zu berichten, die er bis zur letzten Vertreibung im Mai 1947 noch miterlebte.

Bruno hatte einige Hobbys. Neben der Taubenzucht reparierte er gern alte Armbanduhren. Und so freute er sich, wenn man ihm solche mitbrachte. Auch einen Satz Feinmechaniker-Werkzeug konnte er gut gebrauchen. Die Busreisegesellschaft von 1999 hat ihn noch erlebt und sich über seine Hilfsbereitschaft zur Vermittlung gefreut.

Sicher ist, dass auch die Familie Gimmler, die in Pattensen ihre neue Heimat fand, lange guten Kontakt zu ihm hatte. Leider habe ich darüber keine genauen Kenntnisse, denn Überlebende der Familie Gimmler konnte ich nicht mehr erreichen, als ich mit meinen Recherchen begann.

Ein älterer Bruder von Alfons, Alfred Szepanski, und seine Frau Berta, geb. Schubert hielten freundschaftliche Kontakte zu polnischen Einwohnern in Wilkszyn und waren regelmäßig zu Besuchen dort, bis das durch Altersschwäche und Krankheiten nicht mehr möglich gemacht werden konnte. Sie haben mir gerne davon erzählt.

Einzelne gute Kontakte und freundschaftliche Beziehungen zwischen deutschen Ehemaligen und polnischen Neusiedlern haben sich nach Kriegsende entwickelt und blieben wohl auch erhalten bis zum Tode der Ehemaligen. Von einigen wurde mir berichtet. Es wurde aber öffentlich nicht darüber gesprochen. Das ist – zurückblickend – sehr bedauerlich und dient nicht der Völkerverständigung.

Menschen, ganz gleich welcher Nationalität, brauchen die persönliche Nähe und das Gespräch miteinander. Wenn Mauern zwischen den Völkern erbaut werden, entsteht Fremdheit und Furcht vor dem Anderen.

Ich persönlich gehöre zu den jüngsten der ehemaligen deutschen Einwohner von Wilxen / Wilkszyn, habe erst sehr spät den Weg zurück gehen können und bin sehr froh darüber, dass es zu einem so guten Dialog und zu Freundschaften gekommen ist. Und ich würde mir wünschen, dass auch für viele unserer Nachkommen eine versöhnliche Gesinnung erhalten bleibt!

Ein Ausspruch von Marion Gräfin Dönhoff zu ihrer Heimat Ostpreußen sollte vielen Menschen zum Leitgedanken werden: „Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass der höchste Grad der Liebe zur Heimat dadurch dokumentiert wird, dass man sich in Hass verrennt gegen diejenigen, die sie in Besitz genommen haben; und dass man jene verleumdet, die einer Versöhnung zustimmen. Wenn ich an die Wälder und Seen Ostpreußens denke, an die weiten Wiesen und alten Alleen, dann bin ich sicher, dass sie genauso unvergleichlich schön sind wie damals, als sie mir Heimat waren. Vielleicht ist dies der höchste Grad der Liebe: Zu lieben ohne zu besitzen.“

Marianne Thiemann, im Juli 2016

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